Seit Ende vergangener Woche ist der Wert der Aktie des Online-Händlers Windeln.de ohne konkreten Anlass um fast 300 Prozent gestiegen.
Die Ursache scheint, ähnlich wie beim Gamestop-Hype, das Traden der Kleinanleger zu sein, die sich in Online-Communitys absprechen, um den Kurs einer ausgewählten Aktie hochzutreiben.
Verbraucherschützer und Experten warnen vor einem Kauf der Aktie.
Als das Münchner Unternehmen Windeln.de 2015 an die Börse ging, konnten sie vermutlich nicht erahnen, was sechs Jahre später passieren würde.
Denn der Online-Händler, der Eltern alles von Babynahrung, Spielzeugen bis hin zu Kinderwagen – und natürlich Windeln – anbietet, hat es seit dem Börsengang nicht geschafft, Geld zu verdienen. Die Unternehmenszahlen kennen nur eine Farbe: rot.
Das Management wurde häufig ausgewechselt, doch Erfolge waren nicht zu verzeichnen. Die Aktie fiel, am 13. Mai erreichte Windeln.de seinen Tiefpunkt, das Wertpapier stand bei 54 Cent und notierte somit auf Pennystock-Niveau. Beim Börsengang hatte der Ausgabepreis noch bei 18,50 Euro gelegen – somit hatte der Kurs 97 Prozent verloren. Der Unternehmenswert war am Boden.
Umso größer ist die Überraschung, wenn man den jetzigen Kursverlauf betrachtet: Aktuell müsst ihr rund 4,80 pro Aktie zahlen. Seit Ende vergangener Woche ist der Aktienwert damit um fast 300 Prozent gestiegen.
Zuletzt hat Henrik Markmann, Analyst von Montega, Ende März das Kursziel auf Sicht von einem Jahr auf 1,60 Euro gelegt und keine Kauf-Empfehlung ausgesprochen.
Der Kursanstieg sei „fundamental nicht gerechtfertigt“
Gibt es neue, erfolgreiche Unternehmenskennzahlen? Hat das Management-Team eine gewinnbringende Strategie vorgestellt? Die Antwort: nein. Es gibt keine konkreten Nachrichten, warum das Unternehmen jetzt so an Wert gewinnt.
Es gibt lediglich Spekulationen über eine möglicherweise steigende Nachfrage aus China nach Babyprodukten. Denn dort hat das chinesische Regime Paaren erlaubt, künftig drei Kinder zu haben. Und da Windeln.de in China 70 Prozent seines Umsatzes generiert, wird argumentiert, dass Windel.de davon profitieren könnte.
Doch die wahre Ursache scheint, ähnlich wie beim Gamestop-Hype, das Traden der Kleinanleger zu sein, die sich in Online-Communitys absprechen, um den Kurs einer ausgewählten Aktie hochzutreiben.
Das sagt auch Montega-Analyst Markmann zu Business Insider: Die Kursentwicklung sei „nicht auf den operativen Erfolg der letzten Wochen/Monate oder die jüngst angekündigte 3-Kind-Politik in China zurückzuführen. Vielmehr auf Berichte in diversen Foren. Dort wird die Aktie unter Kleinanlegern diskutiert und konzentriert nach oben getrieben – ähnlich wie in den Reddit-Foren zu GameStop, AMC etc.“ Der Kursanstieg sei für Markmann „fundamental nicht gerechtfertigt.“
Bedeutet: Wenn genügend Anleger kaufen, steigt der Aktienkurs sehr schnell. Verkauft man zu einem richtigen Zeitpunkt das Wertpapier, kann man seinen Einsatz vervielfachen. Verpasst man den richtigen Moment für den Absprung, kann sehr viel Geld verloren gehen.
Verbraucherschützerin warnt: „Der Kurs könnte so schnell fallen, wie er gestiegen ist“
Geldanlage-Expertin Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg warnt vor einem Kauf der Aktie: „Verbraucher, die Aktien von Windeln.de kaufen wollen, sollten das nur mit „Spielgeld“ machen. Also Geld, das sie entbehren können. Ein Gewinn ist nicht garantiert. Der Kurs könnte so schnell fallen, wie er gestiegen ist“, sagt Klug zu Business Insider.
Die aktuelle Kursentwicklung von Windeln.de zeigt, wie „einfach Kurse zu manipulieren“ seien. „Es sieht so aus, als ob es sich nicht um einen Kursgewinn handelt, der durch die langjährige Unternehmensstrategie entstanden ist. Vielmehr scheinen sich Anleger zusammengetan zu haben, um den Kurs in die Höhe zu treiben. Ob wirklich gute Aussichten für das Unternehmen bestehen, darf zumindest bezweifelt werden“, so Klug.
Business Insider fragte zwei Telegram-User, die in der Gruppe „Windeln.de SE Gruppe“ mit hunderten Menschen über den Kurs chatten und zum Kaufen animieren. Die Antworten könnten nicht unterschiedlicher sein.
„Ich mache da einfach mit, weil ich das Risiko liebe“
Der Kleinanleger, der sich im Chat „Holger“ nennt, sieht „noch großes Potenzial in der Aktie.“ Holger: „Ich besitze nur Windeln in meinem Portfolio und bin mir natürlich schon des Risikos bewusst, aber ich glaube, China möchte die Kinderpolitik lockern und ich glaube, hier kann Windeln schon noch Geld verdienen, vor allem da der asiatische Markt bisher sein Hauptmarkt war.“
Anders sieht es der User „Nikolai“. Er gibt gegenüber Business Insider zu, dass es sich bei ihm um reines Zocken handelt: „Ich habe keine Ahnung von Aktien und liebe einfach Nervenkitzel, wenn man viel Geld verlieren, aber auch gewinnen kann. Das ist der einzige Grund, warum ich investiert habe. Mein Wissen über die Börse kann man mit dem eines Achtklässlers vergleichen. Ich habe keine Ahnung, warum Aktien steigen oder sinken, ich mache da einfach mit, weil ich das Risiko liebe.“
Für Finanzexpertin Katja Eckardt vom Portal „Finanz-Diva““ ist die Sache klar: „Ein Zock, der schnell nach hinten losgehen kann, die Story ist gelaufen“, sagt Eckardt zu Business Insider. „Wer gern Lotto spielt, kommt auf seine Kosten mit der Aktie. Mit Vermögensaufbau und Sicherung hat das nichts zu tun. Ich würde mir mit Windeln im Depot vor Angst in die Hose machen.“