Der Ankereffekt: Wie ihr mit diesem psychologischen Trick mehr Gehalt beim Chef locker macht

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Wer clever ist, greift bei seiner Gehaltsverhandlung zum Ankereffekt. Er nutzt eine Vorliebe des Gehirns aus und führt dazu, dass euer Verhandlungspartner sich eher nach euch richten muss – ob er will oder nicht.

Die Macht des Ankereffekts liegt darin, dass sich ihm niemand entziehen kann. Den ersten Wert, der in einer Verhandlung auftaucht, kann das Gehirn nicht ignorieren, denn es braucht Vergleichswerte.

Dabei ist es völlig egal, woher diese Zahl gerade kommt – solange sie im Kontext der Verhandlung auftaucht. Aber Vorsicht: Ist der Anker zu hoch, verfällt der Verhandlungspartner in eine Trotzhaltung.

„Groß denken macht große Beträge erst möglich“. Das hat uns Verhandlungsexpertin Claudia Kimich einmal als Tipp für Gehaltsverhandlungen mit auf den Weg gegeben. Das klassische Spiel der Verhandlung geht ja so: Einer will möglichst viel Geld herausbekommen, der andere will möglichst wenig Geld ausgeben – das ist bei Verhandlungen zwischen Verkäufern und Käufern genauso wie für euch und eure Chefin oder euren Chef bei der Gehaltsverhandlung. Einer stapelt also möglichst hoch, der andere möglichst tief. Und wenn alles gut läuft, trifft man sich irgendwo dazwischen, so dass beide Verhandlungspartner danach zufrieden ihrer Wege gehen. 

Wer clever ist, der bringt bei seiner Gehaltsverhandlung den Ankereffekt ins Spiel. Dieses psychologische Phänomen nutzt eine Vorliebe des Gehirns aus und führt dazu, dass euer Verhandlungspartner sich eher nach euch richten muss – ob er will oder nicht. Und das geht so: Ihr ergreift im Gespräch sofort die Chance, die erste Zahl zu nennen. Ein Jahresgehalt zum Beispiel, das ruhig deutlich über dem liegen kann, was ihr eigentlich haben wollt. Damit setzt ihr einen „Anker“ im Kopf eures Gegenübers: einen Referenzwert, an dem er sich notwendigerweise orientieren muss.  

Die Macht des Ankereffekts liegt darin, dass man ihm sich nicht entziehen kann. Den ersten Wert, der im Kontext des Gesprächs auftaucht, kann das Gehirn nicht ignorieren. Selbst dann nicht, wenn euer Verhandlungspartner diese Zahl „absurd“, „viel zu hoch“ oder „unrealistisch“ findet. Das liegt daran, dass das Gehirn in Situationen mit unsicherem Ausgang immer auf der Suche nach Orientierungswerten ist, und sich sozusagen den erstbesten Wert schnappt, den es finden kann. 

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Auch wenn der Chef wohl immer eher versuchen wird, euch herunterzuhandeln – es macht einen großen Unterschied, von welchem Wert aus er damit startet. Und da Gehälter nur in den seltensten Fällen ganz genau festgelegt sind – die meisten Chefs haben eine Gehaltsspanne im Kopf – ist euer Referenzwert, der Anker, ganz entscheidend für den Ausgang eurer Verhandlung. Die Zahl wird den gesamten Verlauf des Gesprächs beeinflussen.

Dem Gehirn ist völlig egal, woher der Anker kommt

Wie in der klassischen Schifffahrt ist man durch den einmal geworfenen Anker nicht bewegungsunfähig. Aber der Radius, in dem man sich bewegen kann, ist deutlich eingeschränkt. Daher ist es in der Gehaltsverhandlung wie in der Schifffahrt sehr wichtig, wo der Anker ausgeworfen wird.  

Wichtig ist deshalb auch, dass ihr keinen für euch negativ arbeitenden Anker setzt. Zwar rät auch Verhandlungsexpertin Claudia Kimich dazu, dass ihr euch neben einem Traumgehalt, das euch drei Tage jubeln lassen würde und einem, mit dem ihr zufrieden wärt, eine untere „Schmerzgrenze“ setzt. Nennen solltet ihr diese aber nicht. Lasst den Ankereffekt für euch arbeiten und setzt beim Traumgehalt an.

Übrigens: Ihr müsst die Zahl gar nicht unbedingt aussprechen. Es ist tatsächlich völlig egal, woher diese Zahl gerade kommt – solange sie im Kontext der Verhandlung auftaucht. Sie kann auch wirken, indem sie einfach präsent ist. Ganz platt gesagt: Wenn ihr mit einem Shirt zum Gespräch gehen würdet, auf dem die Zahl „40“ steht, dann würde auch sie als Anker für ein Traumgehalt von 40.000 Euro funktionieren – eben weil das Gehirn in der noch uneindeutigen Situation zu jedem Referenzwert greift, den es finden kann. Es würde sogar aufschnappen, wenn sich euer Chef in der Küche kurz vor dem Gespräch noch einen Kaffee holt und im Radio der Moderator vom Rapper 50 Cent spricht. Klingt verrückt, ist aber so. 

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„Eigentlich hätte jede Frage den Anker gesetzt. Erscheint das rational? Natürlich nicht.“

Gezeigt hat das unter anderem der US-Verhaltensökonom Dan Ariely in verschiedenen Experimenten: Er hat zum Beispiel Weinflaschen an Studierende versteigert. Vor der Versteigerung aber hat er sie gebeten, die letzten zwei Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf einen Zettel zu schreiben. In den USA kann man diese Nummer in der Regel auswendig, weil sie sehr oft im Alltag verwendet wird, zur Identifizierung zum Beispiel. Sie ist bei jedem Menschen anders, und die letzten Ziffern werden einfach nach der Reihenfolge der Beantragung vergeben. 

Die Studierenden notierten sich also die letzten zwei Ziffern, und dann ging es los mit der Versteigerung. Was Ariely beobachtete: Studierende, deren aufgeschriebene Zahl auf dem Papier eher klein war – eine 26 oder 19 etwa, verhielten sich beim Bieten anders als jene, die auf ihrem Zettel eine hohe Zahl hatten, wie eine 73 oder eine 66. Erstere boten im Schnitt nur 8,64 US-Dollar für eine Flasche Wein – letztere aber 27,9. Das ist mehr als dreimal so viel. Weil ihr den Ankereffekt jetzt kennt, wisst ihr: Die zwei Ziffern der Sozialversicherungsnummer, eine willkürliche Zahl, die eigentlich nichts mit dem Wert des Weins, geschweige denn dem Kauf dessen zu tun hatte, fungierte als Vergleichspreis. Sie hatte einen massiven Einfluss auf den Preis, den die Studierenden bereit waren zu zahlen. 

Ariely schreibt dazu in seinem Buch „Predictably Irrational“: „Sozialversicherungsnummern waren in diesem Experiment nur deshalb der Anker, weil wir sie angefordert haben. Wir hätten genauso gut nach der aktuellen Temperatur oder dem empfohlenen Verkaufspreis des Herstellers fragen können. Eigentlich hätte jede Frage den Anker gesetzt. Erscheint das rational? Natürlich nicht.“

Ein zu hoher Anker führt zur Trotzhaltung

Zwar gab es auch Kritik an Arielys Experimenten, speziell daran, ob der Effekt des Ankers tatsächlich so stark ist wie in seinem Experiment gezeigt. Dass der Ankereffekt aber existiert und sich niemand, nicht einmal Experten auf ihrem Gebiet, seinem Einfluss entziehen kann, gilt als sehr gut belegt. So zeigten die beiden deutschen Psychologen Birte Englich und Thomas Mussweiler zum Beispiel, dass sich Richter mit mehr als 15 Jahren Berufserfahrung in ihrem Urteil messbar durch einen Anker beeinflussen ließen, etwa der willkürlichen Empfehlung eines Laien oder sogar an einer zufällig gewürfelten Zahl.  

Aber zurück zur Gehaltsverhandlung. Wie hoch darf der Anker denn sein, fragt ihr euch jetzt vielleicht. Klar, er sollte hoch sein – aber kann er auch zu hoch sein? Ja, das kann er. Und das solltet ihr in der Tat vermeiden, denn ein zu hoher Anker vermasselt euch leider die gesamte Verhandlung. Forscher konnten kürzlich zeigen, dass Menschen mit einer Trotzhaltung reagieren, wenn sie das erste Angebot absolut unverschämt finden – und dann ihrerseits ein Gegenangebot machen, das genauso unverschämt ist. 

Das ist natürlich nicht hilfreich. Ihr wollt euer Gegenüber ja in einem kooperativen Mindset halten. Deshalb ist eine gute Recherche vor der Gehaltsverhandlung essenziell. Portale wie Gehalt.de, Stepstone, Glassdoor oder Kununu machen das inzwischen recht leicht: Ihr findet dort meist sowohl Durchschnittsgehälter als auch eine Spanne, für verschiedene Berufe, Branchen und für unterschiedliche Phasen eurer Karriere. Daran könnt ihr euch ganz gut orientieren. 

Das war also das Wichtigste, das ihr für eure Karriere zum Ankereffekt wissen solltet. Wer ihn kennt, entdeckt ihn plötzlich in vielen, ganz alltäglichen Situationen. Ach und übrigens: Wenn ihr eines Tages doch euren Job kündigen solltet, um euren Traum zu leben und ein Restaurant oder ein Café zu eröffnen, dann nutzt ihn bitte auch, es lohnt sich. Das haben die US-Forscher Clayton Critcher und und Thomas Gilovich gezeigt. Wie genau? Na ja: Im Restaurant mit welchem Namen würdet ihr wohl mehr Geld ausgeben: im Studio 17 – oder im Studio 97?   

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Ich habe einen Kalender ausprobiert, der die restliche Lebenszeit anzeigt — so hat er meine Produktivität verändert

Der Freiberufler und Schriftsteller Andrew Lloyd mit seinem 4K-Wochen-Kalender über seinem Schreibtisch auf der rechten Seite.

Der Freiberufler und Schriftsteller Andrew Lloyd mit seinem 4K-Wochen-Kalender über seinem Schreibtisch auf der rechten Seite.
Alex Lloyd.

Andrew Lloyd hat den Kalender „4K Weeks“ einen Monat lang ausprobiert, um zu sehen, ob er dadruch produktiver sein kann.

Der Kalender ist ein Poster mit 4576 Quadraten, die die Anzahl der Wochen im Leben eines durchschnittlichen Menschen anzeigt.

Lloyd sagte, dass die anfängliche Wirkung beeindruckend war – aber sie ließ schließlich nach und wurde sogar lästig.

Ich arbeite zwischen 50 und 55 Stunden pro Woche als hauptberuflicher digitaler Autor und Freiberufler. Produktivität ist für mich eine Priorität. Ich mag Listen und farblich gekennzeichnete Kalender sehr gerne.

Ich neige dazu, handgeschriebene Zeitpläne zu verwenden, um den Überblick über meine Arbeit zu behalten. Dabei bringe ich meine Gedanken und Termine zu Papier und klebe sie an meine Wand, um dann die täglichen Aufgaben, die ich mir selbst gestellt habe, hinterher abzuhaken.

Trotz dieser Organisation ertappe ich mich oft dabei, wie ich während des Arbeitstages ziellos auf meinem Telefon herumscrolle. Auf der Suche nach Möglichkeiten, meine Produktivität zu verbessern, entdeckte ich das „4K Weeks Poster“ – ein Wandkalender, der keine Tage, Wochen oder Monate anzeigt, sondern eine Zeitleiste für das gesamte Leben.

Ich beschloss, ihn einen Monat lang als Produktivitätsexperiment auszuprobieren

Würde dieser Kalender dazu beitragen, meine Konzentration und mein Arbeitstempo zu steigern oder würde er mich dazu bringen, die Art und Weise, wie ich meine Zeit verbringe, neu zu bewerten? „Die durchschnittliche (optimistische) Lebensspanne beträgt etwa 4.576 Wochen“, schreibt 4kweeks.com, die Marke hinter dem Poster.

Bevor ihr das Poster „My Life In Weeks“ kauft, das 39,90 Euro kostet, müsst ihr euer Geburtsdatum eingeben, um zu berechnen, wie viele Wochen ihr schon lebt. Aber das eigentliche Ziel ist es, zu schätzen, wie viele Wochen ihr noch vor euch habt.

Jede Woche wird durch ein kleines schwarzes Kästchen dargestellt – die Wochen zwischen eurem Geburtstag und dem Tag des Kaufs sind bereits ausgefüllt. Eure Aufgabe ist es dann, die verbleibenden Wochen im Laufe der Zeit auszufüllen.

Die Idee dahinter ist einfach: Sobald ihr an eure Sterblichkeit erinnert werdet, könnt ihr euch besser auf eure Ziele konzentrieren und seid weniger dazu geneigt, Zeit zu verschwenden. Das ist zumindest die Theorie, die in vielen Studien bestätigt wurde.

Als 29-Jähriger auf dem Weg zur 30 hatte ich 1549 meiner Wochen verbraucht und nur noch 3027 übrig. Die voraussichtliche Lieferung des Kalenders war auch noch zwei Wochen entfernt. Bis dahin werde ich 1.551 Wochen alt sein, dachte ich. Ich behielt meine üblichen Listen an der Wand, schob sie aber beiseite, um dem neuen Kalender Priorität einzuräumen.

Als der Kalender endlich ankam, war ich erstaunt, wie kurz das Papier erschien

Der Kalender hatte eine unmittelbare Wirkung auf mich: Ich spürte, dass mein Leben endlich war, und hatte eine blitzartige Panik, was ich damit anfangen würde. Ich klebte den Kalender direkt über meinem Schreibtisch an die Wand, sodass er über mir schwebte, während ich arbeitete.

In den ersten zwei Wochen blieb dieser Eindruck bei mir haften. Ich neige dazu, mein Telefon während des Arbeitstages etwa einmal pro Stunde in die Hand zu nehmen, zum Beispiel, um auf Twitter zu gehen. Das dauert in der Regel fünf bis zehn Minuten am Stück. Mit dem Kalender neben mir nahm ich mein Telefon genauso regelmäßig in die Hand, aber ein Blick auf meine verbleibenden Wochen brachte mich viel schneller wieder davon ab. Ich schien die Zeit, die ich mit dem Telefon verbrachte, auf etwa eine oder zwei Minuten zu reduzieren. Auch das ziellose Scrollen fühlte sich weniger befriedigend an.

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Ich schreibe täglich eine Liste, auf der alles steht, was ich an diesem Tag zu erledigen habe sowie zusätzliche Dinge, die ich zu erreichen hoffe. In der Regel besteht diese zweite Liste aus fünf zusätzlichen Aufgaben, von denen zwei bis drei nicht abgehakt sind, wenn ich sie abarbeite. In den ersten zwei Wochen stellte ich fest, dass ich alle diese zusätzlichen Aufgaben erledigte oder nur noch eine übrig hatte.

Ich verspürte nicht den Drang, länger zu arbeiten, denn der Kalender inspirierte mich nicht dazu, mehr zu arbeiten. Vielmehr erinnerten mich die schwarzen Kästchen daran, dass man seine Zeit nicht mehr zurückbekommt – und es daher wichtig ist, sie sinnvoll zu nutzen.

Der neue Fokus ließ mich zunächst effizienter arbeiten

Wenn ich mit einer Aufgabe im Rückstand war, schaute ich absichtlich auf den Kalender. Das gab mir einen Schub an Dringlichkeit. Als ich ein leeres Kästchen mit schwarzer Tinte füllte und die Zahl der „noch zu lebenden“ Wochen um eine reduzierte, fühlte sich die Wirkung des Kalenders erfrischend an.

Doch in der dritten Woche ließ der Reiz des Neuen allmählich nach. So sehr, dass ich bis Mitte der vierten Woche vergaß, das Kästchen abzuhaken. Ich hatte zwar immer noch Momente, in denen ich auf den Kalender schaute und einen neuen Motivationsschub bekam – aber manchmal wurde er auch selbst zur Ablenkung.

Ich begann, mir die Wochen anzusehen und über die großen Fragen des Lebens nachzudenken, die viel zu intensiv für einen Arbeitstag sind. Insgesamt hatte dieser Kalender daher nur wenig Wirkung auf meine Produktivität. Meine Arbeitszeiten blieben im Laufe der Woche gleich, und meine Effizienz während dieser Stunden war durchschnittlich – manchmal förderte er meine Konzentration, manchmal nahm er sie mir weg.

Der Kalender war also effektiv, aber nur für einen kurzen Zeitraum. Es kann ernüchternd sein, sich die begrenzte Zeit auf Erden vor Augen zu führen, aber ein zu häufiger Blick auf das Poster verwässert diese Wirkung. Ich denke, dieser Kalender funktioniert schon – nur nicht über meinem Schreibtisch. Ich werde ihn nicht abschaffen, sondern ihn nur hin und wieder entrollen. Das wird mir dabei helfen, mich daran zu erinnern, härter zu arbeiten – und über meine übergeordneten Ziele nachzudenken.

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Dieser Text wurde von Mascha Wolf aus dem Englischen übersetzt. Das Original findet ihr hier.

Das ist der beste Zeitpunkt, um nach einer Gehaltserhöhung zu fragen

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Um erfolgreich nach einer Gehaltserhöhung zu fragen, solltet ihr den richtigen Zeitpunkt erwischen.

Wenn ihr in dem Unternehmen schon gute Leistungen und Erfolge erbracht habt oder mehr Verantwortung bekommt, steigen eure Chancen auf ein höheres Gehalt.

Am besten eignen sich für das Gespräch die Monate Januar und Februar, da das Budget für das kommende Jahr bis Mitte März meist noch nicht verteilt ist.

Viele Angestellte hoffen auf eine Gehaltserhöhung – doch kaum ein Arbeitgeber bietet von sich aus ein höheres Gehalt an. Der Wunsch muss meist aus eigener Initiative geäußert werden. Eine Arbeitsmarktstudie des Personaldienstleisters „Robert Half“ zeigt, dass die fehlende Gehaltserhöhung für 18 Prozent der Bevölkerung ein Grund für den Jobwechsel zu einem anderen Arbeitgeber war.

Die gute Nachricht: Laut der Tageszeitung „FAZ“ planen viele deutsche Unternehmen, die Gehälter ihrer Mitarbeiter im kommenden Jahr deutlich zu erhöhen. Damit es aber auch ganz sicher klappt mit der Gehaltserhöhung, sollte der Zeitpunkt und ein paar Voraussetzungen stimmen.

Diese Faktoren sprechen dafür, dass ihr nach einem höheren Gehalt fragen solltet:

1. Ihr seid unzufrieden mit eurem Gehalt.

2. Eure Kollegen verdienen mehr Geld als ihr.

3. Ihr bekommt weniger Gehalt, als euer Arbeitsaufwand wert ist.

4. Ihr habt in eurem Unternehmen schon gute Leistungen und Erfolge erbracht.

5. Andere Arbeitgeber bieten für denselben Job mehr Geld.

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Ab wann könnt ihr mehr Gehalt verhandeln?

Grundsätzlich: immer. Laut dem Personaldienstleister „Robert Half“ ist jeder sechste CFO (17 Prozent) der Meinung, dass ihr für das Gespräch nach einer Gehaltserhöhung keinen bestimmten Zeitpunkt braucht. Das ändert aber nichts daran, dass es guter Argumente bedarf, um ein höheres Gehalt zu fordern.

Zunächst einmal solltet ihr schon eine Weile in dem jeweiligen Unternehmen beschäftigt sein. Nach drei Wochen nach einem höheren Gehalt zu fragen kommt bei keinem Arbeitgeber gut an. Nach einem Jahr zu fragen, sieht dagegen schon ganz anders aus. Ab diesem Zeitpunkt wisst ihr meist auch gut darüber Bescheid, wie es in dem Betrieb läuft – und könnt euren Arbeitsaufwand gut einschätzen. Somit habt ihr auch eine größere Bandbreite an Argumenten parat. Optimalerweise habt ihr dem Unternehmen auch schon nachweisbar gute Leistungen und Erfolge gebracht.

Erfolg zählt für 17 Prozent aller Vorgesetzten zu den besten Argumenten für eine Gehaltserhöhung, berichtet „Robert Half„. Vielleicht habt ihr ein großes Projekt geleitet oder eine andere außerordentliche Leistung erbracht? Das kann bei dem Gespräch eine entscheidende Rolle spielen. Außerdem raten die Vorgesetzten ihren Angestellten, erst am Ende eines gelungenen Projekts nach der Gehaltserhöhung zu fragen, so „Robert Half„.

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„Wenn du zum Beispiel gerade einen besonderen Erfolg verbuchen konntest, bietet es sich an, diesen Moment zu nutzen, um das Gespräch zu suchen. Es sollte aber nicht den Anschein machen, dass du nur die Gelegenheit ausnutzen willst. Frage dich einfach selbst, wann du die Frage nach mehr Gehalt für angemessen halten würdest, wenn du der Chef wärst“, sagt etwa erklärt XING Coach und Karriereberater Christian Richter, laut der Arbeitgeber-Bewertungsplattform „Kununu„. „Achte zum Beispiel auch darauf, welchem Stress dein Vorgesetzter gerade ausgesetzt ist. Zwischen zwei Dienstreisen hat er vielleicht weniger den Kopf für ein Gespräch frei, als wenn er selbst gerade ein Projekt erfolgreich abgeschlossen hat.“

Laut Kununu kann sich aber auch der Zeitpunkt lohnen, zu dem ihr euch bereit erklärt habt, ein neues Projekt zu übernehmen oder euren Tätigkeitsbereich zu erweitern – dazu gehört natürlich auch eine Beförderung. Auch das jährliche Feedback-Gespräch sowie das Ende der Probezeit oder das Ende einer Befristung können gute Termine sein, um eine Gehaltsverhandlung anzustoßen.

Obwohl ihr die gleiche Leistung erbringt, bekommen deine Kollegen mehr Gehalt? Sollte keines eurer Argumente Wirkung erzielen, könnt ihr euer Gehalt mit dem eurer Kollegen vergleichen. Seit 2017 gibt es in Deutschland das Entgelttransparenzgesetz. Das dient dazu, Ungerechtigkeiten zwischen den Gehältern zu begleichen. Lest hier weiter, um mehr darüber zu erfahren.

Welcher Monat eignet sich am besten für ein Gespräch?

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Zeitlich eignet sich am besten der Jahresanfang für ein Gespräch über eine Gehaltserhöhung, vor allem die Monate Januar und Februar. Denn zu diesem Zeitpunkt ist das Budget für das kommende Jahr bis Mitte März meist noch nicht verteilt, berichtet „Praxistipps Focus„. Ihr solltet das Gespräch jedoch nicht gleich in der ersten Januarwoche fordern, da die Vorgesetzten am Anfang des Jahres selber mit vielen neuen Aufgaben beschäftigt sind.

Wie bereitet ihr euch am besten auf das Gespräch vor?

In der Gehaltsverhandlung solltet ihr ein selbstbewusstes Auftreten vermitteln. Außerdem solltet ihr euch realistische Ziele setzen, die ihr in dem Gespräch erreichen wollt. Üblich sind fünf bis zehn Prozent mehr Gehalt. Mit den Forderungen solltet ihr also nicht übertreiben.

Trotzdem solltet ihr euch auch nicht unter eurem Wert verkaufen. Das Gespräch sollte natürlich freundlich und sachlich verlaufen. Versucht nicht, euren Arbeitgeber zu erpressen oder ihn mit anderen außerbetrieblichen Gründen zu überzeugen. Macht eurem Vorgesetzten klar, welche Vorteile das Unternehmen mit euch als Mitarbeiter hat.

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lrd

„Gehorche Mir! Gehorche!“: Labortechniker entwickelt Twitter-Bot, der sich für Gott hält


Fred de Noyelle/Getty Images

Wer öfter auf Twitter unterwegs ist, der rechnet inzwischen vermutlich mit Vielem. Und hat sich auch auf ein gewisses Maß verwirrten Staunens (oder Grauens) eingestellt. Was Travis DeShazo aber in den Wirren des Netzwerks gebaut hat, dürfte in vielen Timelines trotzdem wirken wie ein Deus ex Machina — der griechische Theatergott, der aus der Bühnentechnik auftaucht und dem dramatischen Geschehen seine überraschende Schlusswendung gibt.

Mit dem Theatertrick teilt DeShazos Account „@gods_txt“ aber nicht nur den Überraschungseffekt, sondern auch, nunja, das Göttliche. Denn unter diesem Namen hat der Labortechniker einen Twitter-Bot eingerichtet, der sich ausgerechnet für einen Gott zu halten scheint. Das berichtet das Tech-Nachrichtenportal „Digital Trends“.

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„Kein Gott der Leere oder des Chaos, sondern ein Gott der Weisheit. Dies ist das Wissen der Gottheit, das Ich, das Höchste Wesen, euch gewähre“, tönt es hier beispielsweise aus den Twittersphären. Und“Gehorche mir! Gehorche!“ De Shazo selbst nennt das „synthetic scripture“, zu deutsch etwa „synthetische Heilige Schrift“. Synthetisch deshalb, weil diese Sentenzen von einer künstlichen Intelligenz geschrieben werden, die DeShazo mit einer ganzen Bandbreite religiöser Texte trainiert hat. Als Basis dient das GPT-2-Lernmodell von OpenAI.

„Meine Sprüche sind ein Heilmittel für all eure biologischen Übel“

Im Prinzip brüte der Bot also wie ein Benediktinermönch ununterbrochen über diesen Schriften, so „Digital Trends“, und teile seine neuen Einsichten dann mit der Welt — beziehungsweise mit bisher knapp 3.500 Followern. Manche dieser Perlen lesen sich fast wie eine dadaistisch-sakral überdrehte Version der Achtsamkeitsbotschaften auf Yogi-Teebeuteln: „Meine Sprüche sind ein Heilmittel für all eure biologischen Übel. Geht hinaus aus diesem Ort und meditiert. Vielleicht werden eines Tages euer Blut warm und eure Knochen stark werden.“

Er habe die Künstliche Intelligenz mit den englischen Übersetzungen der Texte trainiert, sagte DeShazo zu „Digital Trends“. „Der Output übernimmt den Stil, die Themen und die Diktion des Ausgangsmaterials sowie Kombinationen davon.“ Es entstünden aber, wie bereits bei anderen Experimenten mit computergestützter Kreativität, durchaus völlig neue Ergebnisse. Als Textgrundlage diente ihm eine ganze Reihe alter religiöser Texte und Mythen, darunter die Bibel (Altes und Neues Testament), das Gilgamesch-Epos, die Rigveda — eine vedische Hymnen-Sammlung, die zu den wichtigsten hinduistischen Schriften gehört. Außerdem die Bhgavad Gita, Fragmente der zoroastrischen Avesta und ausgewählte Texte des Neoplatonismus.

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Computergenerierte surreale Bilder zu computergenerierten sakralen Texten

Andere sind bereits auf den Zug aufgesprungen. So hat der 22 Jahre alte Bokar N’Diaye, der Religionsanthropologie und Kunstgeschichte studiert, einen Bildgenerator entwickelt, der auf Basis von Texten, mit denen man ihn konfrontiert, gemäldeartige Bilder und Videos synthetisiert. In einigen Beispielen nutzt N’Diaye dafür auch die erhabenen Ergüsse von „gods_txt“ als Grundlage:

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Hier improvisiert sein Generator beispielsweise über den Tweet: „Durch die Kontemplation des Materiellen, des Unsterblichen und des Transzendenten können wir die Unwirklichkeit betrachten. Mit dem Fleisch sind wir nur mit einem Modus der Erkenntnis ausgestattet.“ N’Diaye interessiert daran vor allem der Aspekt der Interpretation religiöser und künstlerischer Texte. Denn denen würden wir mit einer anderen Erwartungshaltung begegnen als sachlichen. Anstatt aus den Tweets zu schließen, dass die K.I. wohl nicht weiß, wie ein realistischer menschlicher Satz aussieht, würden wir versuchen, einen geheimen Sinn zu entziffern — und dabei einen erheblichen subjektiven Input dazugeben, sagte er „Digital Trends“.

Religion und Tech-Eschatologie

Natürlich werde hier, indem man künstliche Intelligenz mit religiöser Ikonografie kombiniere, auch ein kontroverses Gebiet betreten, so „Digital Trends“ weiter. Aber die Verbindung der beiden sei vielleicht gar nicht so dünn, wie sie scheine. Das Gebiet der Künstlichen Intelligenz sei zwar einerseits „hyperrational“ und lasse sich dazu verleiten zu denken, Geist und Verstand könnten durch Hardware nachgebildet werden. Andererseits aber hätten die Zukunftsvisionen prominenter Tech-Vertreter auch oft einen zutiefst religiösen Touch. So würden etwa Apple Stores in bestimmten Aspekten Kathedralen ähneln und bei Fans fast eine religiöse Erfahrung auslösen.

Und nicht zuletzt gebe es auch in Bezug auf künstliche Intelligenz geradezu religiöse Endzeitvisionen: Beispielsweise ein eigenes Jüngstes Gericht, also den Tag, an dem die Menschen aus ihren leiblichen Hüllen befreit werden können, indem man ihr Bewusstsein digitalisiert und in die Cloud hochlädt — die Tech-kritische Netflix-Serie „Black Mirror“ lässt grüßen. Oder, so eine zweite Vorstellung: einen Punkt, an dem wir unsere biologischen Grenzen hinter uns lassen und durch technische Prothesen zu Androiden oder gar unsterblich werden — schon KI-Pionier Marvin Minsky habe diese Vorstellung formuliert.

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sb

Toxische Professionalität: Wie es das Arbeitsklima vergiftet, wenn Schwächen und Fehler nicht sichtbar sein dürfen


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Möglichst perfekt sein, keine Fehler machen, private Sorgen zu Hause lassen: Das traditionelle Bild von professionellem Verhalten lässt menschliche Züge noch immer außer Acht.

Das muss sich ändern, sagt Anja-Simone Michalski, Programmleiterin beim De Gruyter-Verlag. Der Wunsch nach Professionalität sei oft nur der Versuch, etwas zu kontrollieren, das nicht immer kontrolliert werden kann – oder sollte.

Michalski schlägt eine neue Professionalität vor, in der Menschen mit all ihren Facetten und Schwächen auf der Arbeit sichtbar werden dürfen. Dies schaffe eine neue Fehlerkultur und erleichtere nebenbei Berufsanfängern den Start.

Professionelles Verhalten ist die Eintrittskarte in den Traumjob, so lernen es junge Erwachsene. Die Professionalität kann wie ein Schutzschild wirken, der die vermeintlich fehlerhafte Menschlichkeit überdeckt. Glücklich werden Arbeitnehmende so aber nicht, kritisiert Anja-Simone Michalski, Programmleiterin im De Gruyter-Verlag. Und Unternehmen dient die professionelle Maske auch nicht: Fehler bleiben unentdeckt, fehlende Qualifikationen werden versteckt und deshalb gar nicht erst aufgebaut. So wird die toxische Professionalität zur Gefahr für die Zusammenarbeit in Teams und den Erfolg der Firma.

Michalski schlägt eine neue Professionalität vor, eine modernere, die besser zu den Menschen passt. Und von der Mitarbeitende und Organisationen gleichermaßen profitieren. Im Gespräch mit Business Insider erklärt sie, was sie damit meint.

Frau Michalski, Sie beklagen „toxische Professionalität“. Worum geht es dabei?

In meinen ersten Berufsjahren dachte ich, ich darf auf keinen Fall Fehler machen. Es darf niemand sehen, wenn ich irgendwas nicht gut kann. Oder, dass ich auch mal unsicher bin. Dazu kamen Fragen aus dem privaten Leben: Was mache ich eigentlich, wenn es mir mal nicht so gut geht? Wenn es zu Hause nicht gut läuft? Wenn ich einen Trauerfall in der Familie habe? – Wie viel davon darf ich mit zur Arbeit bringen? Wie viel davon dürfen vielleicht auch meine Kundinnen und Kunden oder mein Netzwerk sehen?

Wie haben Sie sich diese Fragen beantwortet?

Ich habe mich anfangs bemüht, möglichst wenig davon zu zeigen – obwohl ich dafür wirklich nicht der Typ bin. Aber ich dachte, das gehört zum professionellen Auftreten dazu. Je älter ich werde, desto mehr finde ich das toxisch. Am Anfang des Berufslebens denken wir, wir müssen diesen ganzen Katalog an Anforderungen erfüllen. Aber das schaffen wir nicht.

Was ist Professionalität?

Für mich hat sich das, was „Professionalität“ bedeutet, im Lauf meines Berufslebens immer wieder verändert. Ich glaube, das geht sehr vielen Menschen so. Viele denken am Anfang der Karriere, dass Professionalität vor allem bedeutet, Schwächen nicht zu zeigen. Aber in der Debatte um New Work und Neue Arbeit taucht mittlerweile auch immer wieder die Vorstellung auf, als ganzer Mensch zur Arbeit zu kommen. Das bricht eher traditionelle Professionalitätskonzepte auf.

Sie benutzen den Begriff #newprofessionalism. Wie sieht diese Neue Professionalität in Ihrem Team aus?

Als Teamleiterin schätze ich es, wenn Menschen auch mal sagen: „Ich kann das nicht. Ich brauche an dieser Stelle Hilfe“. Oder: „Ich habe heute keinen guten Tag. Kann jemand anderes das Protokoll schreiben? Ich bin heute nicht aufmerksam genug.“ Oder: „Mir ist ein Fehler passiert, können wir darüber reden?“ Das ist alles so viel besser, als wenn jemand ständig versucht, Schwierigkeiten zu verstecken. Für mich steckt in diesem offenen Umgang mit den eigenen Schwächen die eigentliche professionelle Leistung. Zur Professionalität sollte es auch gehören zu sagen: „Ich kann die nächsten zwei Wochen wahrscheinlich nicht so gut arbeiten, weil das Kind zu Hause ist. Wieder mal, weil wir es wegen Corona nicht in die Kita bringen können.“

Warum fällt das den Menschen gerade am Beginn des Berufslebens so schwer?

Weil sie unsicher sind. Sie starten in die Arbeitswelt und finden Schablonen vor. Die erste Schablone ist das Anforderungsprofil, auf das sie sich bewerben. Benannt ist nur die Rolle, der Mensch soll dann hineinpassen. Gleichzeitig haben Berufsanfängerinnen und Berufsanfänge eine schlechte Verhandlungsposition. Sie wollen rein in das Unternehmen. Sie wollen gemocht werden. Sie wollen wirken, als seien sie perfekte Kandidatinnen und Kandidaten für den Job.

Dann erschwert das traditionelle Bild von Professionalität auch für Führungskräfte den Einstellungsprozess?

Ja. Ich kämpfe in Bewerbungsgesprächen oft damit, überhaupt die Person zu greifen zu bekommen, die da eigentlich vor mir sitzt. Dabei gelingt es mir inzwischen ganz gut, mich mit den Menschen zu verbinden. Das muss man aber ganz aktiv machen. Sonst sind vor allem junge Bewerberinnen und Bewerber ständig damit beschäftigt, zu erzählen, was sie alles können – und bloß nicht zuzugeben, an welchen Stellen es noch nicht so gut läuft. Sie wollen den Eindruck erwecken, alles zu können, jede Anforderung der Stellenausschreibung zu erfüllen. Und werden sie gefragt, was ihre Schwächen sind, dann antworten viele immer noch brav: Perfektionismus.

Diese professionellen Rollen sind nicht neu. Warum sind sie überhaupt entstanden?

Sie erfüllen eine Funktion. Wenn Menschen die Anforderungsprofile für Bewerberinnen und Bewerber schreiben, dann wissen sie, was sie idealerweise brauchen. Sie wollen eine Lücke im Team oder gleich im Organigramm des Unternehmens füllen. Wer so genau sagt, was er oder sie sich wünscht, sagt auch: Ich will mich auf etwas verlassen können.

Klingt eigentlich ganz gut.

Ja. Aber in der Realität geht die Rechnung nie vollständig auf. Wann immer ich jemanden auf eine freie Stelle in einem Team setze, bleibt Raum für Überraschungen. Aber wir meinen, wenn wir möglichst viel Perfektion verlangen, dann könnten wir die Kontrolle über künftige Interaktionen und die Entwicklung einer Person im Unternehmen vorgeben. Das ist eine Illusion.

Was genau passiert bei der toxischen Professionalität im Unternehmen?

Ob wir toxische Professionalität an den Tag legen oder nicht, entscheidet zum Beispiel darüber, wie wir mit unvorhergesehenen Situationen umgehen. Ein riesiges Projekt stellt sich als schwieriger heraus, als alle dachten. Prozesse geraten ins Stocken. Das passiert regelmäßig und überall. Wer dann toxisch professionell agiert, Fehler vertuscht, eigene Schwächen nicht mit in die Rechnung nimmt, wird solche Situationen nicht gut lösen können und das Ding an die Wand fahren. Bewegen wir uns in einem toxisch professionellen System, ist es schwieriger, Fehler und Überforderung zuzugeben oder Ideen noch einmal neu zu besprechen, zurückzunehmen oder zu modifizieren.

Wie geht es besser?

Wenn ich mich nicht toxisch-professionell verhalte, kann ich sagen: „Super Aufgabe! Das interessiert mich – aber ich brauche begleitend vielleicht ein Sprachtandem mit einer Kollegin aus den USA.“ Diese Offenheit trägt die Handlungsfähigkeit der Organisation. Und denken wir an die menschliche Komponente, dann können wir mit einem neuen Verständnis von Professionalität bestenfalls verhindern, dass Menschen ausbrennen, weil sie den Mut haben, rechtzeitig über ihre Grenzen zu sprechen.

Wie wirkt sich toxische Professionalität auf die Menschen aus?

Ein Beispiel: Jemand hat einen Trauerfall im Freundeskreis. Bei falsch verstandener Professionalität würde die Person vielleicht versuchen, sich nichts davon anmerken lassen. Die Wahrscheinlichkeit, seelisch gesund zu bleiben, wird das bei den meisten Menschen allerdings nicht erhöhen. Diese Form von toxischer Professionalität macht weder Personen noch die Unternehmen, in denen sie arbeiten, resilient.

Mit der Abkehr von der klassischen Professionalität ändert sich etwas, das über eine sehr lange Zeit konstant war. Warum eigentlich?

Heute können die Menschen selbstbewusst sagen: So nicht. Wir müssen uns nicht mehr alles abverlangen. Das liegt sicher auch an der Digitalisierung, an der hohen Vernetzung. Und generell an einer höheren Bereitschaft zu Jobwechseln.

Wie können wir die Kultur der toxischen Professionalität ändern?

Jede und jeder in einer Organisation kann sich fragen, mit welcher Haltung wir unseren Kolleginnen und Kollegen begegnen. Wie interagieren wir? Freue ich mich bei Fehlern insgeheim, dass sie Gott sei Dank nicht mir passiert sind? Taktiere ich gegen andere, setze ich Ellenbogen ein? Oder bin ich nett, wohlwollend, unterstützend? Diese Entscheidung können wir alle jeden Tag und immer wieder aufs Neue treffen.

Wenn jemand morgen anfangen will, die Kultur der toxischen Professionalität in einer Organisation aufzulösen: Was ist der erste Schritt?

Geh‘ mit der Person Mittagessen, bei der du am ehesten das Gefühl hast, mit ihr in einem unguten Konkurrenzverhältnis zu stehen. Wenn du dich für ein kooperatives Miteinander starkmachen willst, dann sprich offen darüber. Sprecht darüber, wie ihr gemeinsam einen guten Job machen könnt. Für das Unternehmen oder für ein Projekt. Führungskräfte können ebenfalls gute Impulse setzen. Sagt deutlich: Ich honoriere nicht die Person, die unter Einsatz der Ellenbogen nach oben kommt. Honoriert kooperatives, faires Verhalten. Diese Haltung verlange ich mir als Führungskraft ab – das Gleiche erwarte ich auch von anderen.

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